Jubiläum

30 Jahre Beziehung

Foto von Adi Goldstein auf unsplash.com

Liebe Arbeit,

weißt Du, dass wir heute Dreißigjähriges haben?

Heute vor 30 Jahren war mein erster Arbeitstag beim ersten „richtigen“ Arbeitgeber, also nach den Praktika und Aushilfsjobs und was man so neben dem Studium macht.

Auf die Frage, wo willst du in 30 Jahren stehen, hätte ich damals keine Antwort gehabt. Und ich hätte mir meine heutige Situation nicht vorstellen können. Nicht, weil sie so außergewöhnlich ist, sondern weil sie so nah dran am damals Erwartbaren ist. Ich hatte auch keine Antwort auf die Frage nach meiner Zukunft in 3 Jahren. Ich glaube, mir hat damals niemand diese Frage gestellt und ich bin auch froh drum. Im ersten Job ging es erst einmal ums Losarbeiten.

Jetzt sind wir eine gute Generation weiter, die Erde hat sich x-mal um sich selbst und 30-mal auch um die Sonne gedreht. Ich weiß heute besser, wie ich mit dir umgehe. Vor allem dann, wenn du klar als ein Stück zu erledigende Aufgabe daherkommst. Dann kann ich dich aufteilen, priorisieren, einplanen, anpacken, delegieren, vor mir herschieben, mich in dir verlieren. Und bleibst mir doch ein Rätsel, weil – ob du Arbeit bist oder nicht – viel weniger an der Aufgabe selbst als meiner Einstellung zu dir liegt.

Arbeit oder nicht

Einen Blogbeitrag zu schreiben, ist keine Arbeit, wenn ich mich einfach hinsetze und was schreibe. Der Beitrag wird zu Arbeit, wenn ich ihn mir vornehme, einplane und dann am Freitag merke, dass da was zu erledigen ist, das ich mir selbst abverlange.

Das Gespräch mit dir hat etwas von Spiegelfechterei. Ich spreche dich an wie etwas Reales, als seist du eine Person, die antwortet. Natürlich gibt es dich nicht als Subjekt, aber es gibt dich ja auch nicht als Objekt. Ich rede ja nicht mit dem Blogbeitrag, sondern mit der Mühe, die er macht, oder mit den Gefühlen, die es in mir auslöst, dass ich mir was zu schreiben vorgenommen habe.

Haltung

Viel eher bist du Ausdruck meiner eigenen Haltung zu meiner Aktivität, welche darüber bestimmt, ob ich das Tätigsein als Arbeit empfinde oder Freude. Als Mensch, der lebt, bin ich doch dauernd aktiv und handele. Das kann Arbeit sein, wenn ich es in fremdem Willen tue, und Selbstausdruck, wenn ich für mich entscheide.

Manchmal wird die Tätigkeit auch Arbeit, wenn ich sie mir selbst auferlege. Und umgekehrt wird aus Arbeit Freude, wenn ich nicht muss sondern darf und will. Da ich jedoch in Wirklichkeit nie von jemand anderem zu etwas gezwungen werden kann, sondern stets selbst wähle, ob ichs tue oder nicht, hilft die Unterscheidung von Fremd- und Selbstbestimmung nicht, um Arbeit zu definieren. Das kann es nicht sein. Oder nenne ich es dann Arbeit, wenn ich innerlich noch widerstreite, wenn ein Teil von mir sie will und ein Teil sie nicht will? Und ich empfinde die Tätigkeit dann nicht als Arbeit, wenn sich alle Teile innen einig sind, sie zu wollen, so dass ich die Tätigkeit voller Hingabe erfülle, ohne zu überlegen, ob es Arbeit sein könnte?

Alle im Boot

Darauf hätte ich früher schon mal kommen können: Wenn es sich wie Arbeit anfühlt, dann sind meine inneren Stimmen noch nicht ganz „in einem Boot“. Und wenn wir uns innen alle einig sind, dann ists halt das, was ich gern tue.

Wenn das stimmt, dann bist du, liebe Arbeit, mit der ich streite, der Teil von mir, der etwas von mir will und erwartet. Das finde ich spannend. Ich spreche mit meiner eigenen Erwartungshaltung.

Naja, ich freue mich, dich zu kennen. Die letzten Jahre haben uns viele Gelegenheiten geboten, uns näher zu kommen. Jetzt sind wir gut miteinander. Meistens. Ab und an benutze ich deinen Namen als Ausrede, wenn ich nicht zugeben will, das ich irgendetwas will oder nicht will. Dann „muss ich diese Arbeit machen“ oder „habe viel zu tun“. Meist rede ich dann nicht von der Aufgabe, sondern von meinem Pflicht- und Verantwortungsgefühl gegen über anderen Menschen. Oder ich lenke von meiner eigenen Verantwortung ab. „Das ist halt meine Arbeit.“

Mit wem genau habe ich dann heute mein Jubiläum, liebe Arbeit? Mit dem Teil von mir, mit dem ich noch nicht ganz einig bin, wenn ich was tue? Und von dem ich dann in zehn Jahren in Rente gehe… Das ist eine ulkige Vorstellung. Aber ich trinke jetzt einen drauf!

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