Disziplin II

Disziplin alleine ist zu eng gedacht (Teil 2 von 2)

Foto von Mohamed Nohassi auf unsplash.com

Liebe Arbeit,

heute geht es noch einmal um die Disziplinsache. Im ersten Teil des Posts habe ich geschrieben, dass mir die sechs üblichen Empfehlungen, wie man sich zu unangenehmen Aufgaben durchringt, zu sehr nach Disziplin riechen. Hier sind die sechs noch einmal: Bessere Planung, echte Willenskraft, soziale Verbindung, mehr Sehnsucht, konsequentes Durchhalten und kleine Gewohnheiten. Sie gehen als erstrebenswerte Tugenden alle von der Annahme aus, dass der Teil in mir, der die Aufgabe vermeiden will, zu überwinden sei. Etwas in mir müsse besiegt werden. Mit Prokrastination gibt es sogar einen echt nach Krankheit klingenden Namen dafür.

Es gibt einen Teil, den ich an den Empfehlungen nicht mag. Es ist ein Schmerz, den ich bei vielen Ratgeberbüchern empfinde und die ich deswegen ablehne: Der Tonfall, dass irgendwas an mir nicht richtig sei und geändert werden müsste. Ich möchte an den Punkt gelangen, mit meinen Eigenschaften gut zurechtzukommen und nicht Teile von mir selbst ablehnen zu müssen.

Wie ist das nun mit den Eigenschaften, die es braucht, um die anstehende und nicht so attraktive Aufgabe wirklich anzugehen? Ich glaube, ich bekomme das immer dann gut hin, wenn im Moment der Entscheidung möglichst viele Spieler in meinem „inneren Team“ zu einer integrierten Lösung gekommen sind, es zwar vielleicht keinen Konsens, aber eine überwiegende Mehrheit oder zumindest keinen begründeten und schwerwiegenden Einwand gegen das Loslegen mehr gibt.

Dafür muss ich die Gegenspieler der oben genannten sechs Tugenden erkannt und eingebunden haben und nicht pauschal gegen einige von ihnen anarbeiten. Wobei der Begriff Gegenspieler schon fast zu negativ klingt, denn das, was sich da gegenübersteht, sind beides Tugenden. Keine ist gut oder schlecht. Es ist nur nicht jede in jeder Situation nützlich. Konkret:

Wer ist die Gegenspielerin zur Planung? Durcheinander? Nein, das ist eher das Ergebnis, und es kann mit oder ohne Planung entstehen. Die gute Eigenschaft, die diametral anders vorgeht als die Planung, um zu einem Ergebnis zu kommen, ist die Spontanität. Die Tugend, oder auch das Bedürfnis, das mich davon abhält, einen genauen Plan zu machen und einzuhalten, ist das Bedürfnis, einem momentanen Impuls zu folgen und dann zu sehen, was sich ergibt.

Diese Sicht auf die Gegentugend ist mir wichtig, weil ich mit dem erweiterten Blick daran arbeiten kann, die Energie aus beiden Tugenden zu nutzen. Sie hilft mir, die Entscheidung zu fällen, was ich gleich tun werde. So kann ich planen (erste Tugend), dass es morgens eine halbe Stunde Sport gibt und spontan entscheiden (zweite Tugend – Gegenspielerin), ob ich jogge, radele oder Gymnastik mache. Der vorausdenkende Teil von mir ist genauso zufrieden wie mein spontaner Teil. Klingt zu simpel, um zu funktionieren? Bei mir geht das immer mal ganz gut.

So lassen sich zu den anderen fünf Tugenden ebenfalls die Gegentugenden finden. Hier sind alle sechs:

  • Die Planung wird von Spontanität ausbalanciert,
  • die Willenskraft von Offenheit,
  • die Verbindung von Unabhängigkeit,
  • die Sehnsucht von Fülle,
  • das Durchhalten von der Hans-im-Glück-Haltung und
  • die Gewohnheit von Neugier.

Während die links stehenden Begriffe sich für mich zu Disziplin aufsummieren, ergeben die Begriffe auf der rechten Seite eine Beschreibung für Autonomie und Freiheit. Auf meine anstehenden Aufgaben schaue ich jetzt mit deutlich mehr Perspektiven und nutze die Kraft aus den Disziplinelementen genauso wie die Kraft aus den Autonomieelementen. Damit kriege ich die Dinge geschafft, die für mich insgesamt wichtig sind. Und nicht nur für den pflichtbewussten Teil.

Denn, mal ganz ehrlich: Auch mit Offenheit und Neugier kriege ich Aufgaben erledigt. Und die beim pflichtschuldigen Durchhalten störenden Telefonate, die ich mit meiner Hans-im-Glück-Haltung annnehme, können ganz wunderbare Folgen haben. Ich brauche dafür die Offenheit, das Geschenk zu sehen, das das Schicksal mir da gerade zuspielt. Goldklumpen, und so. Du weißt schon.

Diese Sicht hat meine Beziehung zu dir, liebe Arbeit, auf eine andere Ebene gehoben. Mehr Augenhöhe, könnte ich sagen, denn ich darf dir mit den Tugenden begegnen, die gerade Freude und Lust auslösen. Darauf hätte ich vor 20 Jahren schon mal kommen können. Aber jetzt ist ja auch ein guter Zeitpunkt.


2 Kommentare

  1. Sehr schön geschrieben. Es spricht mir in vielen Teilen aus der Seele und ich finde, wir sollten mehr Zeit damit verbringen, über solche Themen zu philosophieren.

    Jedenfalls finde ich die 6 Tugendteams ein verdammt gutes Ergebnis für „20 Jahre Recherche-Arbeit“.

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